Montag, 14. Dezember 2015

Maturaausarbeitung Latein 2006 - würd ich heute ein bissl kritischer schreiben ;)

Catilina und die Krise der Römischen Republik

Als Catilina das Licht der Weltgeschichte erblickte, steckte Rom gerade in seiner zweiten großen Krise, dem ersten Bürgerkrieg. Ging es während der ersten Krise, der Zeit der beiden Gracchen, noch (hauptsächlich) um soziale Themen, wie etwa eine Besserstellung der Bauern durch eine umfassende Agrarreform, später auch um eine Ausweitung des Bürgerrechts auf die italischen Bundesgenossen Roms, so ging es im Konflikt zwischen Marius und Sulla um die Vormachtstellung einer Partei vor der Anderen beziehungsweise schlicht und ergreifend um persönliche Macht zweier Männer und ihrer Konsorten.

Nach der Zerstörung Karthagos und Korinths (146 v.) sowie des spanischen Numantia (133 v.) durch die Römer ergaben sich Probleme: einerseits hinterließ die fast schon als inflationär zu bezeichnende Ausweitung des Imperium Romanum in diesen Jahren tiefe Risse im sozialen und wirtschaftlichen Gefüge. Hauptsächlich die Bauern hatten die Lasten des Krieges zu tragen, und vor allem sie, die sie außerhalb der Stadt wohnten, mussten mit ansehen, wie Hannibal ihr Hab und Gut während seiner Italien-Tour („Feldzug“ möchte ich es nicht nennen, ein solcher ist nur vor Hannibals Einzug in Italien festzustellen) brandschatzte und plünderte. So strömten diese besitz- und arbeitslosen Proletarier nach Rom, wo sie weitgehend von Spenden und Wahlbestechungsgeldern lebten. Auf der anderen Seite hatten die siegreichen Feldzüge den Feldherrn reiche Beute erbracht, die in italischem Grundbesitz angelegt wurden – zumeist in den verwaisten Bauernstellen im Römischen Umland. Die Geschichte lehrt, dass derartige Ungerechtigkeiten selten ohne Konsequenz bleiben.

Inzwischen waren auch die größten Errungenschaften des bereits länger zurückliegenden Ständekampfes ad absurdum geführt worden: So galten zwar bis zur Sullianischen Diktatur weiterhin sowohl das Licinisch-Sextische Gesetz von 367 v., demzufolge einer der beiden Konsuln Plebejer sein müsse, als auch das Hortensische Gesetz von 287 v., das die Beschlüsse der Volksversammlung auch für Patrizier rechtsverbindlich machte – all dies stärkte den Römischen Volkskörper ungemein – und auch die alten Standesunterschiede verblassten; Doch schon bald bildeten sich neue Stände, was ein sehr gutes Beispiel für eine der herausragendsten Charakteristika von uns Sterblichen darstellt: das Handeln im alleinigen Eigeninteresse. Die reichen Patrizier und Plebejer bildeten fortan die Nobilität, den Amtsadel; ärmere Familien, gemeinhin Populares genannt, wurden sukzessive aus dem politischen Leben zurückgedrängt – der alte Zustand, nur neu ummantelt, stellte sich langsam wieder ein. Der auf Abstammung beruhende Standesgegensatz wich dem auf Wohlstand begründeten.

Gemeinsam mit dem Ritterstand (reiche Mitbürger mussten zu Zeiten der Wehrpflicht noch zu Pferd in den Krieg ziehen), dem Geldadel, dessen Angehörige später nicht in den Senat gewählt werden durften (und umgekehrt: Senatoren durften auch keine Geschäfte tätigen), bildeten die Nobiles die Optimaten – organisiert in der Senatspartei; Die Proletarier waren in der Volkspartei zusammengefasst.

Mit der Zeit verschärften sich die sozio-ökonomischen Disparitäten immer mehr: In der Landwirtschaft herrschte der Großgrundbesitz vor, die Staatslatifundien wurden von den Optimaten bewirtschaftet, die den Staat wohl als ihren Privatbesitz erachteten. Zudem brachen die Getreidepreise immer wieder aufgrund der billigen Importe aus den Provinzen ein. So wurde Rom, die ewige Stadt, zunehmend zu einem sozialen Pulverfass; was fehlte, war jemand, der bereit war, den Funken überspringen zu lassen – und sei es nur zu seinem persönlichen Vorteil. Lange musste man auf solche Leute nicht warten (ebenso wenig wie heute).

Um mich hier kurz zu halten: Gajus Marius, begnadeter Feldherr jedoch nur sehr mittelmäßiger Politiker, Held der Populares, wurde von selbigen siebenmal zum Konsul gewählt. Lucius Cornelius Sulla, einer altpatrizischen Familie entstammend, war ebenfalls ein ausgezeichneter Heerführer und zudem ein hochbegabter Politiker, was ihn die Senatspartei jahrelang anführen ließ.

Als es um die Frage ging, wer denn nun den Oberbefehl im Feldzug gegen Mithridates zugesprochen bekommen sollte, kamen ihre Rivalitäten offen zum Ausbruch. Letztlich bekam Sulla den Zuschlag, was dazu führte, dass Marius mit den ihm treu ergebenen Truppen nach Rom marschierte und in einer ersten Schreckensherrschaft zahlreiche Nobiles hinrichten und deren Vermögen einziehen ließ.

Nachdem Sulla den Krieg in Osteuropa erfolgreich beendet hatte, kehrte er nach Rom zurück. Inzwischen war Marius selbst gestorben, seine Anhänger jedoch wurden in einer zweiten, länger andauernden Tyrannis geächtet, Proskriptionslisten wurden erstellt, denen fast 5000 Bürger zum Opfer fielen. Sulla wurde vom Senat zum Diktator auf Lebenszeit ernannt (nachdem er dessen Macht wieder voll hergestellt hatte, versteht sich) und so zum ersten Alleinherrscher der Römischen Geschichte der Nachkönigszeit. Und hier kehren wir an den Anfang zurück: jene Zeit, in der Lucius Sergius Catilina zum ersten Mal in das Licht der Weltgeschichte eintrat.

Dem hohen Adel entstammend wurde Catilina um 108 v. geboren, betätigte sich in jungen Jahren als Handlanger Sullas und wurde so schon relativ früh in brutale Morde verwickelt. Wegen Verführung einer Vestalin wurde er 73 v. angeklagt, auf Fürsprache eines Senators jedoch freigesprochen. Will man Cicero Glauben schenken, so war Catilina wohl ein von Grund auf böser Mensch, der außer Mord, Totschlag, Raub und persönlicher Macht (die Leute wie er stets mit Angst verwechseln) und Bereicherung nicht viel im Sinn hatte. Sallust sieht ihn als Kind seiner (sittlich verfallenen) Zeit.

Catilina war 68 v. Prätor der Provinz Africa. Als er Juni 66 in die Hauptstadt zurückkehrte, um sich für das nächstjährige Konsulat zu bewerben, wartete bereits ein Repetundenprozess auf ihn – wegen schamloser Ausbeutung der von ihm beaufsichtigten Provinz – besser gesagt: wegen der Korruption, die ihn wohl dazu veranlasst haben mag, Geld in seine eigene Tasche fließen zu lassen, um sich die Bewerbung um das Konsulat auch leisten zu können (es galt ja Stimmen zu kaufen!); Das Ausbeuten einer Provinz an sich war wohl kaum Grund für einen Prozess, stellte dies ja den eigentlich Sinn einer solchen dar, nämlich die Bereicherung des Imperiums. Nun, dieser Prozess verhinderte vorerst eine Bewerbung. Freigesprochen wurde er erst im Herbst 65, was eine Bewerbung für 64 ebenso unmöglich machte.

Dies mag ihn auf die Idee gebracht haben, einen ersten Putschversuch zu starten, über den allerdings zu wenig und zu ungesichert berichtet wird, als dass ich hier darauf weiter eingehen wollte. Es scheint jedoch so – und das halte ich als Randnotiz durchaus für erwähnenswert – als wäre Gaius Julius, der spätere Cäsar, bereits darin verwickelt gewesen.

Was dagegen im Herbst 63 geschah erscheint schon gesicherter: Nach bereits zwei gescheiterten Bewerbungen um das höchste Amt im Staat sieht Catilina die Zeit gekommen, den (statt ihm selbst – unterstützt in seiner Kandidatur übrigens durch Cäsar und Crassus) gewählten Konsul Marcus Tullius Cicero aus dem Landadel ermorden zu lassen. Dies soll den Weg frei machen für seine in Rom versammelten Schergen, die dazu vorgesehen sind, die Stadt niederzubrennen, die Optimaten umzubringen und die Macht Catilina zuzuschanzen.

Außerhalb Roms warten in Etrurien ehemalige Soldaten Sullas, die durch Verschwendungssucht und agrikulturelle Unbedarftheit in ebensolche Geldnöte geraten sind wie Catilina selbst und sich deshalb just Manlius, einem emeritierten Offizier Sullas und Anhänger Catilinas, anschließen und sich in seinem Heerlager versammeln.

Der Senat, der nach ersten Gerüchten, die ihn Ende September erreicht haben, untätig geblieben ist, erlässt am 21. Oktober den weitestgehenden Senatsbeschluss („senatus consultum ultimum“) und erklärt somit den Notstand, nachdem erste gesicherte Meldungen über eine Truppenansammlung an ihn gelangen. Wenig später, am 7. November, scheitert ein Attentat auf Cicero, da dieser offenbar Informanten in den Reihen des Catilina besessen hat: geplant war, Cicero beim Morgengruß ermorden zu lassen, was zwei Ritter hätten erledigen sollen; Sie müssen unverrichteter Dinge wieder abziehen, da Cicero in weiser Voraussicht sein Haus bewachen hat lassen (verhaftet wurden die beiden Meuchelmörder übrigens nicht). Dies veranlasst Cicero, am Tag nach dem gescheiterten Attentat eine improvisierte (seine berühmte „erste“) Rede vorm Senat zu halten, bei der Catilina selbst noch anwesend ist. Diese wiederum veranlasst Catilina die Stadt in der darauf folgenden Nacht zu verlassen, angeblich um ins Exil nach Massila zu gehen, in Wahrheit aber, um ins Heerlager des Manlius zu reisen. Als der Senat dies erfährt, erklärt er sowohl Manlius als auch Catilina zu Staatsfeinden – damit sind sie vogelfrei.

Indes versuchen Catilinas Anhänger in Rom, eine Gesandtschaft der Allobroger, eines Gallischen Volksstammes, der zu Verhandlungen mit dem Senat in der Stadt weilte (auch hier scheint es um Schulden zu gehen), davon zu überzeugen, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen; Nachdem das Römische Volk gemetzelt werden sollte, benötigte man neben guten Kämpfern auch neue Einwohner.

Diese scheinen zuzustimmen, stehen in Wirklichkeit jedoch mit Cicero in Kontakt. Nach der Übergabe belastender Dokumente an die Allobroger findet am 3. Dezember ein fingierter Überfall statt, bei dem jene Dokumente in die Hände des Cicero gelangen und dem Senat vorgelegt werden. Die Verdächtigen werden vorgeführt, verurteilt und am 5. Dezember 63 v. Christus hingerichtet.

Den Übrigen wird eine Frist gesetzt, bis zu der sie sich straflos stellen können. Sklaven, die sich Catilina aus nur zu verständlichen Gründen angeschlossen haben, sollten 100.000 Denare Belohnung sowie die Freiheit erhalten, so sie sich wieder von ihm abwendeten, Freie gar 200.000 – all zu oft wurde dieses generöse Angebot aber nicht in Anspruch genommen. Es darf jedoch davon ausgegangen werden, dass zumindest die Allobroger bei ihren Verhandlungen Vorteile erhielten.

Der Senat beschließt, dass Cicero die Stadt beschützen soll, während sein Kollege, Gnäus Pompeius, sich mit einem Heer gen Manlius und Catilina aufmacht, um deren Heer Plutos Sammlung gefallener Streiter zuzuführen. Etwa einen Monat später, Anfang 62 v., treffen beiden Heere aufeinander – Catilina und seine 3000 Anhänger fallen. Die Überlebenden und die in der Stadt verbliebenen Verschwörer, die erwischt werden, werden im Frühjahr 62 dem Gericht vorgeführt.

Interessanterweise wurde Cicero vier Jahre später, 58 v., in die Verbannung geschickt, weil er den Catilinariern die Möglichkeit auf Revision ihres Verfahrens nicht einräumte, später jedoch von Cäsar rehabilitiert. Weiters erwähnenswert ist die Diskussion im Senat, in der auch Cäsar und Cato zu Wort kommen. Man kann doch wirklich nur ins Staunen geraten, wenn man betrachtet, wie ausgereift das Römische Recht bereits damals war. So gaben die Gesetze des Valerius jedem Bürger das Recht, gegen die Strafe der Hinrichtung oder Geißelung ans Volk zu appellieren. Das Porcische Gesetz, das später durch Gaius Gracchus erneuert und verschärft wurde, verbot die Todesstrafe gänzlich und ersetzte sie durch die Verbannung. Interessant ist auch, dass Cäsar sich gegen die Todesstrafe aussprach, angeblich, weil es ja eine viel schlimmere Strafe sei, in solch einer Schmach zu leben. Cato spricht sich, wie aus dem von mir weiter oben zitierten Sätzen bereits hervorgegangen sein sollte [Anm.: in der Übersetzung], ausdrücklich für die Todesstrafe aus.

Und so geschah es, dass eine der größten (inneren) Gefahren, der die Republik jemals gegenüber gestanden ist, abgewendet werden konnte – vorerst, wenn man die zweite Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts betrachtet. Wenig später bildete sich das erste Triumvirat, bald darauf das zweite und schon überschritt Cäsar den Rubikon.

Vieles kann man am Imperium Romanum kritisieren – von der Sklaverei über zahlreiche, unverhüllte Angriffskriege bis zur sozialen Ungerechtigkeit – aber man muss dieser Epoche eine gewisse Faszination zusprechen, gab es doch in der gesamten uns bekannten Menschheitsgeschichte keine ähnlich lange existierende Demokratie. Und wenn man nur ein, zwei Jahrhunderte vorwärts blickt, wird man bald erkennen, welch rosige und gerechte Zeiten dies doch waren!

Traurig ist es, sich mit der Geschichte eines Volkes zu befassen, dass den Untergang seines Reiches durch Dekadenz, Verlotterung, großer Arroganz und vor allem Ignoranz selbst herbeigeführt hat. Doch gerade die spätrepublikanische Zeit des Imperium Romanum zeigt einige Paradigmen der Weltgeschichte und Politik auf: in der Blütezeit der Republik bildeten sich Berufsheere, gebunden an einen Feldherrn. Die Treue von Cäsars Truppen allein ermöglichte ihm die Machtergreifung. Die Verschlagenheit von Sullas Soldaten war es, die seine Schreckensherrschaft ermöglichten. Ebenso war es mit Pinochet, Franko, Mussolini – Militär und paramilitärische Organisationen tun einer Demokratie nicht gut.

Auch der Tod des jüngeren Gracchus ist beispielhaft: zuerst vom Volk gefeiert, weil er die Reformen seines Bruders weiterführt und ausbaut, dann ausgebuht und in weiterer Folge unter den Augen des Volkes vom Senat ermordet, weil er das Bürgerrecht auf die Bundesgenossen ausweiten wollte. Die einen Unterdrückten lassen ihren Befreier im Stich, weil der gerne anderen Unterdrücken dieselben Rechte verschaffen will, wie ersteren. Ironie.

Und Catilina an sich ist schon ein Paradebeispiel für einen machthungrigen, skrupellosen Demagogen. Wenn man der Geschichte Glauben schenkt – hätte Catilinas Plan funktioniert, stünde heute in den Geschichtsbüchern sicherlich eine andere Version der Geschehnisse. Vielleicht war Catilina auch wirklich ein Sozialrevolutionär, vielleicht wollte er tatsächlich nur einen Umsturz um ein Nova Roma aufbauen zu können, in dem es etwas gerechter zugehen sollte. Ja, vielleicht wollte er aus dem inzwischen kapitalistischen Handelsstaat wieder eine Bauernstadt machen, möglicherweise war er Steinzeitkommunist – wir wissen es nicht mit Sicherheit. Ausgehen würde ich zwar nicht davon, aber nichts desto weniger sollten wir immer in Erinnerung behalten, dass Geschichte nun einmal von Siegern geschrieben wird. Auch in Bürgerkriegen. Selbst wenn sie nicht stattfanden.

Wie auch immer man ihn bewerten mag – wobei man Bewertungen in der Geschichte sowieso besser außen vor lassen sollte – er war auf jeden Fall ein neues Phänomen der Römischen Republik. Waren Marius und Sulla noch mehr oder weniger „spontan“ in Rom einmarschiert, weniger, weil der Zeitpunkt günstig war, wie bei Cäsar, sondern, weil sie nur so dachten verhindern zu können, dass die jeweils andere Partei an Macht und Einfluss gewönne, so schien Catilina alles von langer Hand vorbereitet zu haben: er suchte sich Mitverschwörer und Gleichgesinnte, wer nicht gleich gesinnt war, der wurde umgestimmt, sofern möglich; er versammelte seine Anhängerschaft selten, sprach offenbar nur einmal vor seiner Flucht zu allen Versammelten gemeinsam, sonst stets nur zu jedem einzeln, was es eher ermöglicht, leere Versprechungen zu machen, sich die schwache Lage des Staates zunutze zu machen und die Leute aufzuwiegeln gegen jene, die viel hatten, während sie selbst nichts oder nur wenig besaßen – oft nur einen großen Berg Schulden.

Nun, abschließend lässt sich wohl sagen, dass die Sitten zwar weniger rau sein mögen, sich im Endeffekt aber nicht viel geändert hat. Immer noch stehen Macht und Geld in höchstem Ansehen, immer noch Armut in Schande. Weiterhin arbeiten jene, die reich an Ansehen und Geld sind, nur zu ihrem eigenen Vorteile; und die, die nichts dergleichen haben, besitzen nicht das nötige Gewicht, ihren Forderungen Geltung zu verleihen.

Repetitio mater historiae est.

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